Seit gestern habe ich keine Worte. Allein die Schweigeminuten fühlen sich richtig an, dort wo ehemals die Synagoge in Hamm stand.
Seit gestern habe ich keine Worte. Auch nicht für die Juden und Jüdinnen, die ich kenne. Ich würde ihnen so gerne etwas schreiben, schriftlich, eine Karte, ein Brief. Ich weiß nicht, was. Alles, was mir einfällt, sind Selbstverständlichkeiten, die ich nicht sagen will. Denn Selbstverständlichkeiten, die man sagen muss, sagen vor allem das: Nichts ist selbstverständlich. Nicht mal das Recht zu leben, zu glauben, zu feiern. Und das ist eine Wahrheit, die ich nicht mit Worten realisieren will. Ich will, dass ihr lebt, liebt, glaubt, feiert, lacht, schreibt, sprecht, berichtet, alles tut. Hier und überall. So sehr will ich das.
Seit gestern habe ich keine Worte. Nur immer wieder den Gedanken, dass es in meiner Familie Nazis gab und typisch jüdische, hebräische Namen gibt, aber mein einziger jüdischer Freund von seiner Mutter keinen bekommen hat.
Seit gestern habe ich keine Worte. Nur einen Funken Dankbarkeit für eine Ladehemmung.
Seit gestern habe ich keine Worte. Es ist alles nicht neu, wir wissen alles. Was passieren muss in den Schulen, was politisch und wirtschaftlich umgesetzt werden muss, dass dieses Land wie alle Länder mehr Therapeuten und Liebe braucht. Wir wissen, was Gerechtigkeit und Shalom kosten. Und auch, was passiert, wenn wir versagen. Als Christin glaube ich, dass ich in all dem nicht ohne Sünde bin. Und ich weiß, TUN ist krasser als REDEN. Und ich tue normalerweise Dinge mit Worten, aber wenn ich seit gestern nicht mal Worte habe, ist schweigen vielleicht das Beste, was ich seit gestern tun kann. Und das sagen. Um dann nächste Woche wieder Worte zu haben, wenn ich tue, was ich kann. Mit Jugendlichen reden, glauben, lieben und hoffen.