Sonnenblume 37

zu meinem 37. Geburtstag

Ich bin immer spät dran und brauche meine Zeit.

Ich konnte tauchen, bevor ich endlich das Seepferdchen hatte. (Auch wenn mein Sportlehrerpapa mich schon als Säugling in der Badewanne schwimmen ließ.)

Mit acht Jahren war ich die Letzte in der Klasse, die lesen konnte. (Trotz den Bemühungen meiner Grundschullehrerinoma.)

Frisch auf dem Gymnasium schrieb ich erstmal nur Fünfen in Englisch, bis ich mit 14 nicht mehr nur Englisch sang. ( Und das obwohl mein Vater den Ruf hatte, den kleinen 5ern mit der Gitarre wunderbar spielerisch das Teaäetschen beizubringen.)

Erst mit fast 15 wurde ich getauft, ein Jahr später fand ich Gott. (Seitdem spielen wir „Verstecken & Segen“.)

Vor meinem ersten Kuss habe ich erstmal Abi gemacht. (Obwohl meine Mutter als Biolehrerin wirklich alles gegeben hat, mich nicht nur frühzeitig vollständig aufzuklären, sondern auch vollständig auszustatten für Sex.)

Ich brauchte zwei Anläufe für mein Hebraicum und acht Jahre für mein Studium. (Das hat jetzt niemand überrascht und mit den Sprachen gab es dann auch kein Happy ever after.)

Ich war vier Jahre im Vikariat – an 4 Orten! (Weil ich noch zum WDR in Köln wollte. Und – hey – das muss mir erstmal wer nachmachen.)

Mit 32 wurde ich Dorfpfarrerin und kaufte mein 1. Auto. (Juchhuh und: Tja.)

Mit 33. kam Perla in mein Leben. (Endlich.)

Mit fast 34 ließ ich mich ordinieren und mit 35 hatte ich meine 1. Pfarrstelle und ein kleines Zechenreihenhaus. (work, work, work. Manchmal kann ich mein Glück nicht fassen, dass ich dafür bezahlt werde – und mein Geld dafür ausgebe.)

In meinem Vorgarten wächst eine Sonnenblume. Hoch hinaus will sie, höher als ich. Sie ist doppelt so groß wie meine 1,64, die im Perso stehen. Während andere Sonnenblumen schon verwelken, hat sie noch nicht mal angefangen zu blühen.

Trotz viel Liebe und Privilegien, so hoch wie meine Sonnenblume, bin ich oft spät dran und nehme mir meine Zeit.

Ich bin jetzt 37. Viel habe ich gelernt, am Ende sogar ganz gut. Viel habe ich geschenkt bekommen, vor allem habe ich Menschen in meinem Leben, die wissen, wie man mich liebhat. Nächstes Jahr will ich mal viel lassen, damit ich mehr Zeit habe für das, was ich mir noch wünsche für mein Leben.

Denn wenn ich mal wieder spät dran bin, und mich das stresst oder traurig macht, trägt mich die Hoffnung, später zu blühen.