Haltestelle Segensberg

Ich komme aus der Klinik, einen Operationstermin in der Tasche. Mir ist mulmig. Wie das wohl wird: Narkose, Aufwachen, Schwellungen, Schmerzen. Ich muss mich festhalten im Bus von Recklinghausen nach Buer, auch weil die Straße jetzt langsam ansteigt. Bis bei einem Stopp so viele aussteigen, dass ich auch einen Platz bekomme. Beim Hinsetzen werfe ich schnell einen Blick auf die Haltestelle. Ihr Name klingt verheißungsvoll: Segensberg.

Haltestelle Segensberg, ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Wenn das Krankenhaus hier stünde, wäre meine Angst vor der OP gleich viel kleiner. Was soll schon schiefgehen auf dem Segensberg? Da kann ich mir ja wohl sicher sein, dass Gott mich bewahrt. Da wird ja wohl jeder Handgriff der Ärztinnen und Pfleger sicher geführt werden. Und selbst wenn ich dort mal Schmerzen hätte, sie wären bestimmt nicht so schlimm… ich wäre nicht allein dort, Gott wäre ja da mit seinem Segen.

Haltestelle Segensberg. Schade, ich habe nicht drauf geachtet, wer hier ein- und ausgestiegen ist. Auf dem Segensberg müssen doch lauter liebenswerte Menschen wohnen und arbeiten, stelle ich mir vor. Liebenswert, nicht immer nur lieb, aber freundlich. Menschen, die aufeinander achten, aneinander interessiert sind. Wenn man sich auf den Wegen des Segensberges trifft, wird man bestimmt mit einem Lächeln gegrüßt. Zum Abschied sagt man sich vielleicht nicht nur Adieu oder Tschüss – also Gott befohlen, sondern segnet sich mit dem besten aller Wünsche: „Wo Menschen dich nicht begleiten können, da sei Gott an deiner Seite!“

Haltestelle Segensberg. Im Vorbeifahren gucke ich mir die Häuser an, die hier stehen. Nichts wirklich Besonderes zu sehen von vorne. Also male ich mir aus, wie es wohl hinter den Kulissen aussieht. In meinem Kopf entsteht ein Bild vom Leben auf dem Segensberg. Schmale Wege führen zu ihm empor – über bunte Blumenwiesen, im Schatten grüner Bäume. Am Abend zu Hause angekommen, bleiben die Sorgen unten im Tal. Von oben eine tolle Aussicht genießen auf das, was unten so eng und kompliziert und klein erschien. Der Blick vom Segensberg herab gibt Weitblick und Klarheit. Mit dem dann am nächsten Morgen voller Schwung und Elan den Berg wieder herunter… Wohnen auf dem Segensberg – das gibt Kraft und Orientierung.

Haltestelle Segensberg. Wie schön es sein müsste,  sagen zu können: „Ich lebe auf dem Segensberg.“ Das hört sich doch an wie: „Ich lebe auf der Sonnenseite des Lebens.“ Das hört sich an wie: „Gott lässt sein Angesicht leuchten über mir und ist mir gnädig.“ Das heißt doch: Es gibt dunkle Täler, in die mich das Leben immer wieder führt, aber eigentlich lebe ich auf dem Segensberg. Dem Ort der Bewahrung, der Heilung. Mit Straßen in denen ich Menschen begegne, die es gut mit mir meinen. Einem Berg, von dessen Gipfel aus ich wieder Weitblick und Kraft für Leben und Arbeit gewinne. Und die Erkenntnis: Ich lebe unter dem Segen Gottes, der auf meiner Seite steht und sich für mich einsetzt. Der mir Frieden schenkt.

Haltestelle Segensberg. Wenn ich in ein paar Wochen mit Angst vor der OP im Bauch wieder die gleiche Strecke zurück in die Klinik fahre, dann will ich auf diese Haltestelle achten. Nicht um dort auszusteigen. Sondern damit das Lächeln wiederkommt. Und die warmen Gedanken. Damit ich wieder fühle, „Gott segnet und behütet mich“ – so wie jetzt. Gottes Segensberg ist überall, immer dort, wo ich auch bin und sein Bild in mir entsteht. Nur manchmal, da brauch ich eine Bushaltestelle, die mich daran erinnert.