Meine Freundinnen und ich, wir sind jetzt richtig erwachsen. Jahrelang hatten wir uns an den WG-Tischen und Café-Tischchen Mut gemacht und Kraft gefunden, unsere großen Prüfungen zu bestehen. Aber erst jetzt sind wir wirklich „groß“. Das erkenne ich nicht daran, dass wir jetzt unsere Steuern zahlen dürfen, sondern daran, dass wir nun täglich pendeln oder in die Einsamkeit ziehen, in Städte, in denen wir zuerst mal keinen kennen und uns erst recht keine so liebt wie die beste Freundin. Erwachsensein heißt: Wir arbeiten alle locker deutlich mehr als 40 Stunden in der Woche. Und das heißt: Ab jetzt muss alles effektiv sein, es kommt alles auf das Zeitmanagement an. Wir sind jetzt richtig erwachsen. Das erkenne ich vor allem daran, was wir uns zum Geburtstag schenken. Früher haben wir lange überlegt und uns dann mit witzigen und schönem Krimkrams beglückt. Heute schenken wir uns das Wertvollste, das wir haben: Zeit. Katharina hat mir einen Zeitgutschein geschenkt und setzt sich an ihrem freien Tag in den Zug, um an meinen Tisch zu kommen. Das kostet sie Hin- und Zurück bestimmt fünf Stunden. Aber ich freue mich darüber mehr als über alles andere. Natürlich müssen wir das lange im Voraus planen. Die Zeiten, in denen sie nur 15 Fahrradminuten von mir entfernt war, sind vorbei. Überhaupt: alle sind weit weg und das Zeitkontingent ist knapp, wir haben ja auch noch Familie und Partner, Ehrenämter und Haushalte zu „unterhalten“. Natürlich kann ich Suse immer noch eine Freude machen, wenn ich mich abends übermüdet an den Schreibtisch setze. Ihr noch eine Karte schreibe, die sie unverhofft im Alltag trifft. Aber auch selbst mit social media kommen wir (trotz großen technischen Fortschritten) ständig an Grenzen. Auch als endlich Erwachsene gilt: Fast nichts tut so gut, wie mit meinen Freundinnen an einem Tisch zu sitzen. Zu erzählen, auch mal zu klagen, dabei lecker miteinander zu essen, miteinander zu lachen und wieder Lebensmut zu schöpfen. Um dann wieder gestärkt in den Alltag zurückzufahren.
Jesus, der große Menschenfreund hat mal sagt:
John 15:13 Niemand hat größere Liebe als die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde. 1
Natürlich lassen wir nicht unser Leben, wenn wir Freundinnen uns am Wochenende gegenseitig besuchen. Aber wir lassen unsere Lebenszeit, wir geben das Wertvollste, das wir haben. Und neulich habe ich deswegen mal wieder den Gottesdienst sausen lassen. Der ist mir auch sehr wichtig, aber Lisa konnte eben nur an diesem einen Sonntagmorgen und ich hatte sie neun Monate nicht mehr gesehen. Und so saßen wir eben an meinem Tisch, brunchten und redeten mal wieder richtig intensiv. Und ich bin mir sicher, Jesus versteht das. Schließlich saß er auch oft mit seinen Freunden zusammen und stärkte sich und seine Freunde für die nächsten Lebenstage. Das Gleiche geschieht auch im Gottesdienst. Aber meine Kirche lernt auch zu verstehen, dass sie nicht mit den Tischen in den Cafés und in den Küchen konkurrieren kann und will. Nicht wenn dort sonntags die Menschen sitzen, für die man seine Lebenszeit geben würde. Meine Freundinnen und ich, wir sind (endlich) erwachsen. Gott, sei dank ist unsere Freundschaft mitgewachsen. Und das Gottesdienstangebot der Kirche auch.