Es war einmal eine kleine Reform
in einem kleinen Land in Europa.
Die nannte ihre Mama Bildung
und ihren Papa Mut.
Die Mittelalten fragten sie oft:
„Und du kleine süße Reform – was willst du denn mal werden?“
„Och,“ sagte die kleine Reform: „Nix.“
„Aber willst DU nicht ein bisschen größer und älter werden?“
„Nö. Hier stehe ich und will nicht anders.“
So war sie die kleine Reform.
Sie hatte ja auch alles, was sie brauchte.
Am liebsten war sie mit ihren drei Freundinnen im Garten und spielte Einhorn.
Gratia, Fides und Christa liebten es mit ihr Symbole für das Gute zu finden. Eigentlich gewann zwar immer Christa, weil sie nie aufgab, aber genau deshalb hörte eben auch das schöne Spiel nie auf.
Wenn die kleinen vier Mädchen abends müde wurden aßen sie Schnitten aus beiderlei Gestalt – Milch und Honig- und tranken feierlich lilafarbenen Traubensaft aus dem heiligen Horn.
Nein, die kleine Reform vermisste nichts.
Die kleine Reform wollte nicht größer oder länger werden.
Aber leben wollte sie schon.
Und zum Leben gehört Älterwerden dazu.
Und so wurde die kleine Reform eine kleine Reformation.
Als sie 10 Jahre alt wurde, dachte sie:
„Jetzt komme ich in die 5. Klasse und dann lerne ich noch eine 3. Alte Fremdsprache!
Wenn man miteinander reden kann,
dann gibt es endlich Religionsfrieden.“
Aber ihre große Schwester, die war schon 31,
das war die große Bibelübersetzung, die lachte sie aus:
„Du kleine süße Reformation! Selbst wenn man sich versteht – man spricht doch nie dieselbe Sprache!“
„Das ist ja ein Chaos!“, rief die nicht mehr ganz so kleine Reformation und lernte JETZT das wahre Leben kennen:
Lutheraner, Reformierte, Unierte,
Freikirchlich Sozialisierte und jede Menge religiös Verwirrte.
Bald war die mittelkleine Reformation total verunsichert.
„Ist das die Pubertät?“, fragte sie sich.
„Kann ich da mir selbst und meinem Gewissen trauen?“
„Habe ich die Bildung meiner Mutter? Oder den Mut meines Vaters? Und was ist das alles ohne die Kritik meiner Schwester der Bibelübersetzung?“
Es hätte schlimm ausgehen können,
aber wenn du denkst, es geht nicht mehr…
kommen deine Eltern mit einer Spitzenidee daher:
„Klarer Kasus,“ sagten Mama Bildung und Papa Mut,
sie hatten schließlich schon die Bibelübersetzung durch all ihre Drucke und Phasen gekriegt:
„Du musst in den Konfirmationsunterricht.“
Die Reformation sah ihre Eltern entgeistert an: „Muss ich dann auch auf einen Kirchentag mitfahren?“
„Ja, das gehört dazu!“ Ihre Eltern waren total begeistert und zogen sich verknitterte bunte Schals über.
„Wo ist der denn dieses Jahr?“, die Reformation wurde panisch.
„In Berlin und in Wittenberg.“
„Wo ist denn Wittenberg?“
„In Sachsen-Anhalt,“ Ihre Mutter guckte ganz verträumt in die Ferne: „Also für deine Schwester waren wir ja noch in Thüringen, im Romantikhotel auf der Wartburg.“
„Ja, aber bei dir,“ sagte ihr Vater, „also in Wittenberg, das war dann eher so spontan!“
Ihre Mutter wusste nicht, ob sie stolz oder verschämt gucken sollte.
Ihr Vater entschied sich für stolz: „Wir wollten uns da eigentlich nur die schöne Kirche angucken und als wird dann am Eingang standen, da war da so eine Tür …“
Die Reformation guckte ihre Eltern verständnislos an.
„Und dann war dein Vater mal ganz besonders mutig.“
Die Reformation schrie ihre Eltern an:
„An einer Kirchentür in Wittenberg?! Warum? Und warum weiß ich davon noch nix?“
„Der Zeitpunkt war noch nicht so … Aber: Deshalb ist es auch so wichtig, dass du jetzt nach Wittenberg fährst.
Da sind viele Menschen, die dich ganz ganz genau kennen, jedes Wort, jede Fußnote, jeden Schritt, jeden Ritt, jeden Tritt in äh …alles wissen die von dir– von klein an! Du wirst dich mit ganz neuen Augen sehen!“
„Oh Gott!“
Die Reformation rannte in ihr Zimmer und googelte sich selbst: 500 Jahre, Kirchentag, Christusfest.
„Du siehst mich.“
„Nein, tust du nicht!“
Die Reformation schleppte sich zum CD-Regal:
„Das Einzige
worauf man sich wirklich verlassen kann,
was mich sieht, truly represented
ist immer noch deutscher HipHop aus den 90zigern!
TicTacToe, Tobi und das Bo, Xavier Naidoo
und Sabrina Setlur: Sie legte die CD ein.
Gesang: Du liebst mich nicht.
Du liebst mich einfach nicht.
Du liebst mich einfach nicht.
Endlich – die Reformation fühlte sich gesehen, verstanden,
sackte in sich zusammen, schlug mit pubertären Pathos die Arme um sich und sang:
Gesang: Du siehst mich nicht.
Du siehst mich einfach nicht.
Du siehst mich nicht.
Und deshalb seh ich dich jetzt auch nicht mehr!
Da krachte eine weiße Taube gegen das Fenster ihres Jugendzimmers.
Die Reformation blickte auf. Und sah wie das Vieh beim 2. Versuch wohlbehalten auf der Fensterbank landete, einen grünen Zettel im Schnabel.
Sie öffnete das Fenster, nahm den Zettel und las:
„In curvatus in se ipso. Boah, ich hasse Latein – aber ich kanns! Verkrümmt in sich selbst.“
Die Reformation fühlte sich ertappt,
Die Reformation richtete sich auf.
Die Reformation öffnete die Arme weit:
„Es ist egal, wer ich bin.
Ab heute frage ich nicht mehr nach mir.
Ab heute bin ich einfach mal für
die anderen
Nicht nur: Wer bin ich und siehst du mich?
Sondern auch: Ich seh dich!
Ab heute,
nagel ich euch nicht mehr fest,
was ihr jetzt machen müsst,
weil früher
und zu spät
und in Zukunft
und sonst kein semper reformanda!
SOLO DIOS BASTA!!“
Und siehe: Die Reformation wurde erwachsen.
Und wenn sie nicht gestorben ist,
dann, ja dann, und auch sonst: …