Ordinationspredigt

Ich lese das Evangelium von Trinitatis, Johannesevangelium Kapitel 3

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. 2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. 3 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. 4 Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? 5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 6 Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden.

Wenn es Nacht wird, stehe ich auf vom Schreibtisch und schalte meine Lampe an.

Ein Band habe ich an ihr festgemacht. „Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Kor 5,17) steht darauf.

Manchmal wenn ich meine Lampe anmache und diesen Vers lese, dann lächele ich und träume vom Neuen, habe Hoffnung, dass es kommt. Meine, es ist schon da.

Manchmal aber, wenn es Nacht wird, dann nützt mir die Lampe nichts.

Es wird trotzdem dunkel in mir.

Nachts, wenn es dunkel wird, ist die Zeit der dunklen Fragen, die Zeit der Dämonen.

Dann kann ich das Neue nicht mehr sehen, nur das Alte – und es ist mächtig.

Manchmal, wenn es Nacht wird,  kommen mir Fragen über uns Menschen in der Kirche,

wie ich uns in den letzten 20 Jahren an so vielen Orten erlebt habe.

In Meißen, Lerbeck, Krelingen,

Bielefeld, Leipzig, Philadelphia,

Münster, Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen,

Köln und in Levern auch:

Das Alte hat seinen festen Platz, das Neue noch nicht wirklich.

Das Alte das war richtig gut. Das Neue – ist das denn überhaupt richtig?

Das Alte, das war richtig gut. So wie es war, war es gut.

Als Kirche noch was war,

eine gesellschaftliche Größe, große Kirchen, volle Kirchen, voller Gesang.

Alle kannten die Lieder, auswendig, in jedem Dorf, jedem Stadtteil Gottesdienst sonntags morgen, immer gleich, gleich nebenan das Pfarrhaus mit der eigenen Pfarrfamilie.

So wie es war, war es gut. Es ist nicht mehr gut, weil es nicht mehr ist, wie es war

und wenn es nicht wird, wie es war, dann wird es nicht gut.

Das Alte das war richtig gut. So wie es war, war es gut.

Da war klar, was Sache ist, wer das Sagen hat, da gab es klare Ansagen, klare Hierarchien. Die gibt es immer noch, aber so ganz klar ist das nicht mehr.

Was darf man denn noch sagen?

Was ist denn nun richtig?

Was sollen wir denn nun tun?

Was sollen wir denn nun glauben?

Diversity, divergency (DIE), division.

Vielfalt, auseinandergehen, Spaltung.

Das Alte hat klare Grenzen gezogen.

Zwar haben manche Mauern inzwischen kleine Risse oder niedrige Türen.

Aber: Wer kann sich immer noch nicht hindurch zwängen?

Wer will den Kopf nicht einziehen, um dazu zu gehören?

Das Alte das war richtig gut.

So wie es war, war es gut.

Darüber brauchen wir gar nicht reden.

Über Gutes braucht es keine Auseinandersetzungen, das braucht keine Kraft.

Wenn es gut war, kann ja keiner was falsch gemacht haben.

Dann brauchen wir auch nichts Bedauern, nichts betrauern.

Wir brauchen keine … Schuldeingeständnisse oder Entschuldigungen.

Aber es passiert: Wir machen uns einander das Arbeiten und Leben und Glauben schwer.

Es ist gut, wenn wir dann einzeln, jeder und jede für sich heilen können.

Aber das ist keine Versöhnung für UNS.

So bleibt das Alte, überall Geschichten von Enttäuschung und Verletzung unter uns.

Das Alte steht noch zwischen uns.

Manchmal, wenn es Nacht wird, dann nützt mir die Lampe nichts.

Es wird dunkel in mir.

Denn ich kann das Neue nicht mehr sehen, nur das Alte – und es ist mächtig.

Dann kann ich das Reich Gottes nicht mehr sehen,

sondern nur die Kirche im holprigen Strukturwandel

mit schwer verständlicher Finanz- und Profilkrise und Glaubwürdigkeitsproblemen.

Dann, wenn es Nacht wird, frage ich Gott,

ob unsere Kirche wirklich wieder neu werden kann.

Und wann das endlich in unseren Gemeinden geschieht.

Dann frage ich Gott, wie ich das Reich Gottes unter uns (wieder) sehen kann.

Dann bin ich wie Nikodemus, ich suche nach Zeichen.

Aber ich bin wie Nikodemus, selbst wenn eins vor mir steht, verstehe ich es nicht.

Dann bin ich wie Nikodemus, ich will kluge Worte hören.

Aber ich bin wie Nikodemus, ich brauche mehr als einen Lehrer.

Dann bin ich wie Nikodemus, ich suche neues Licht, neues Augenlicht bei Jesus.

Und der sagt, warte ab, es wird geschehen, wie damals.

Und ich lege mich hin, wenn es Nacht geworden ist.

MUSIK.

So lege ich mich hin im Dunkeln und warte bis Sonntags morgens von Osten die Sonne aufgeht und dann mach ich mich auf.

Zur Kirche, zu den Kindern, den kleinen und den großen,

die ich taufen darf in Gottes heiligen Namen.

Und dann ist die Gemeinde da und das Wasser in der Taufschale.

Die Menschen bringen ihr Kind und das Wasser rinnt durch meine Finger auf seine Stirn,

drei Mal, meine Hand liegt auf dem kleinen Kopf und Gottes Geist berührt uns beide.

Bedingungslos, denke ich.

Gott tauft dich bedingungslos. Du bist erst ein paar Monate alt, wer weiß, wer du wirst.

Ohne Bedingungen gehörst du zu Gottes Reich.

Ich bin schon ein paar Jahre alt, ich weiß so ungefähr, wer ich war.

Aber ohne Bedingungen kann ich immer wieder sein, wie neu geboren.

Einmal getauft durch Wasser, immer wieder mit Geist.

In dem Moment weiß ich, wer ich bin und was ich bin. NEU.

Ich sehe dieses kleine Kind und mich. Und all die großen Kinder um uns auch, alle Getauften, ich sehe Sie und euch alle: NEU. In Gottes Reich.

Das Reich Gottes sehen, heißt neu sehen.

Ich dich, du dich, Sie sich, ich mich.

Mit anderen Augen, durch die Augen Gottes.

Und diese Augen sehen mit Herz und mit Seele, mit dem Bauch und den Händen.

Bedingungslos.

Sie sehen das Neue unter dem Alten.

Sehen, was liebenswert ist unter all der Arroganz, der Aggression.

Was hoffnungsvoll ist, unter all der Angst, der Unsicherheit.

Was glaubensstark ist, unter all der Schwäche, der Verzweiflung.

Die sehen das Neue in jedem Mensch. Egal wie jung oder alt.

Sie sehen und es ist kaum zu fassen, wie schön und gut Gott uns Menschen geschaffen hat.

Diese Augen sehen, was gesegnet sein soll und was Erbarmen braucht.

Die sehen, wo der Mangel ist und auch die Sehnsucht.

Sehen die Liebe.

Ich bin süchtig, so zu sehen, immer wieder.

Durch das Wasser der Taufe und den Geist zu sehen,

wie sehr Gott die Menschen liebt, wie liebevoll die Menschen sind.

Und das uns alle sehen zu lassen.

In den Häusern und am Grab,

an den Krankenbetten und den Jubeltischen

vor dem Traualtar, am Taufstein.

Mit dem Brot und dem Kelch, den Schlüsseln und der Bibel in der Hand,

bin ich Zeugin von Gottes Reich.

Zeugin des Neuen unter dem Alten,

das Alte verwandelt zum Neuen.

Durch Wasser und Geist,

durch die Taufe, Ihre und deine und meine gilt:  

„Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.“

Das Alte ist vorbei, vielleicht beweint, betrauert.

Wahrgenommen, aber verwandelt.

Bedingungslos.

Durch neue Augen.

Nicht ohne dunkle Nächte oder quälende Fragen.

Doch das Licht der Welt kommt bestimmt von Osten am Morgen.

Und dann sind wir neu geboren.

Bekommen Gottes Geistkraft,

die Sie, dich und mich verwandelt und (damit) die Kirche (noch dazu).

Dann sehen wir in der Kirche Gottes Reich,

Sehen, wie schön das Neue ist.

Bitten um Entschuldigung, und das macht uns frei.

Erleben, dass die Liebe eint, und dass sie für alle reicht.

Das will ich sehen, im Reich Gottes, immer wieder, deshalb bin ich hier.

Das Reich Gottes sehen, Sie und euch durch Gottes Augen zu sehen,

das macht süchtig, so schön ist das.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

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