Wir beten für den Frieden Choralandacht zu EG 678

Autorin: Ein junger Mann in olivgrüner Tarnkleidung betritt das Zugabteil. Sieht aus wie eine Uniform. Er schaut sich um, immer wieder, ich sehe ihn an, rieche den Alkohol. Er fragt freundlich, ob er sich zu mir setzen darf. Ich nicke. Er sieht sich wieder um. Du fühlst dich verfolgt, denke ich, du fühlst dich bedroht. Irgendetwas stimmt hier nicht.

Gesang: 1. Wir beten für den Frieden, wir beten für die Welt, wir beten für die Müden, die keine Hoffnung hält, wir beten für die Leisen, für die kein Wort sich regt, die Wahrheit wird erweisen, dass Gottes Hand sie trägt.

Autorin: Der junge Mann kramt in seinem Armeerucksack und holt einen 20 cm langen Gegenstand heraus. Er steckt sich das lange Messer in der Scheide unter sein T-Shirt. Mein Herz schlägt schneller, irgendwie fühle ich mich jetzt auch bedroht. Der Mann kramt in seinem Rucksack, hektisch, panisch, ihm steht der Schweiß auf der Stirn. Meine Phantasie fährt Achterbahn. Dieser Mann steht Todesängste aus. Ich packe meine Sachen und flüchte vor dem, der sich da vor mir bewaffnet gegen eine Bedrohung, die ich nicht sehen kann. Ich halte es heute nicht neben ihm aus.

Sprecherin: Wir beten für den Frieden, wir beten für die Welt, wir beten für die Müden, die keine Hoffnung hält, wir beten für die Leisen, für die kein Wort sich regt, die Wahrheit wird erweisen, dass Gottes Hand sie trägt.

Autorin: So sitze ich da, zwei Abteile weiter, und bete. Für diesen Mann.  Dass nichts passieren möge. Dass alles gut ausgeht. Ich warte, dass mein Herz sich beruhigt. Zwei Bahnhöfe später die Durchsage: „Unsere Weiterfahrt verzögert sich aufgrund eines Notarzteinsatzes im Zug.“ Die Sanitäter laufen auf dem Bahnsteig an mir vorbei. Und wieder, ich hoffe, ich bete.

Gesang: 2. Wir hoffen für das Leben, wir hoffen für die Zeit, für die, die nicht erleben, dass Menschlichkeit befreit. Wir hoffen für die Zarten, für die mit dünner Haut, dass sie mit uns erwarten, wie Gott sie unterbaut.

Autorin: Die Sanitäter kommen an meinem Abteilfenster vorbei, der junge Mann kann zwischen ihnen gehen, aber er sieht elendig aus. Endlich regen sich auch meine Worte. Ich gehe zurück und gebe einem Sicherheitsbeamten der Bahn Bescheid, dass der Mann ein Messer unter seinem T-Shirt trägt. Er gibt die Information weiter. Neben ihm steht ein Mann: „Der war in Afghanistan, vor zwei Jahren.“

Musik- instrumental – Befiel du deine Wege. EG361

Autorin: „Wir beten für den Frieden“. Der moderne Choral, der mal zu der alten Melodie von Heinrich Schütz, mal zu der Melodie von „Befiel du deine Wege“ gesungen wird, bittet dringend um Frieden. Er macht sich stark für die Zarten. Für die mit dünner Haut. Wenn die Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt wird[1], dann werden die Seelen einiger zurückgekehrter Soldatinnen und Soldaten auch in Deutschland noch bedroht. Immer wieder. Die Betroffenen haben Alpträume, fühlen sich losgelöst von ihrer Umgebung, sind mal apathisch, mal übererregt.

Posttraumatische Belastungsstörung nennt sich das. Oberstleutnant a.D. Andreas Timmermann-Levanas leitet die Selbsthilfeorganisation Deutsche Kriegsopferfürsorge.[2] Er ist überzeugt, dass fünf bis sieben Prozent der Einsatzsoldaten betroffen sind. Bei gut 100.000 Rückkehrern aus Afghanistan macht das allein für diesen Einsatz über 5.000 Menschen.[3] Und wenn diese Menschen zurückkehren in ihre Familien, in unsere Gesellschaft, in unsere Züge, dann kommt die Bedrohung dieser kriegsähnlichen Einsätze uns hautnah. Im Zug habe ich gebetet. Was mir unter die Haut geht, das geht auch über die Lippen. Manchmal möchte ich dann singen.

Gesang: 3. Wir singen für die Liebe, wir singen für den Mut, damit auch wir uns üben und unsre Hand auch tut, was das Gewissen spiegelt, was der Verstand uns sagt, dass unser Wort besiegelt, was unser Herr gewagt.

Autorin: Jesus von Nazareth hat es gewagt, er hat sich stark gemacht für alle, die Leid aushalten müssen. Für die Sanften. Für alle, die sich einsetzen für Gerechtigkeit und Frieden. In der Bergpredigt heißt es:

Sprecher:

(…) Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.

Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.

Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. (…)

Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;

Denn ihrer ist das Himmelreich. (Mt 5, 4-10)

Autorin: Jesus hat es gewagt inmitten von Ungerechtigkeit und Unterdrückung das Himmelreich zu versprechen. So auch Peter Spannenberg, Pfarrer, Theologiedozent und Textdichter unseres Chorals: Gott macht sich stark für die Dünnhäutigen und Zarten. Das dürfen wir erwarten! So hoffte der Autor im geschichtsträchtigen Jahr 1989. Damals war ich sieben Jahre alt. Und so gehöre ich zu einer Generation, die kriegerische Auseinandersetzungen vor allem aus dem Fernsehen kennt. Die brennenden Ölfelder nach dem Golfkrieg, die Massengräber im Kosovo, die brennenden Twin-Towers in New York. Ich wusste, es gab Krieg, aber fühlte mich doch die meiste Zeit sicher. Erst in den letzten Jahren drehte sich das Gefühl. Und dann kam dieser Tag in der Bahn. Da war Schluss mit Frieden. In dem Moment, als ich die Bedrohung durch den jungen Soldaten nachgespürt habe, als sie gefühlt zu meiner wurde, da war nichts mit Liebe oder Mut. Da war mein Mund trocken und meine Füße schnell, mir blieb nur das Beten. Dietrich Bonhoeffer schrieb im Mai 1944:

Sprecher: “Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.

Autorin: Wenn es um Krieg und Frieden geht, bleibt dann nur das Beten? Beten und das rechte Handeln gehören untrennbar zusammen, sagt Bonhoeffer. Jeden Tag das Geschäft mit dem Krieg entkräften, es geht. Wenn Banken oder Versicherungen mit Krieg und Rüstung ihr Geld verdienen, kann ich das Unternehmen wechseln. Längst gibt es ethische Geldanlagen. Jeden Tag dem Unrecht keine Chance geben, das geht. Viele können an der Supermarktkasse und im Kleidungsgeschäft Zeichen setzten, denn viele von uns haben genügend Geld. Ich muss die Schöpfung und Menschen nicht ausbeuten. Laut und deutlich anerkennen, was Soldatinnen und Soldaten durchgemacht haben. Auch das wäre ein Beitrag zum Frieden. Und: Immer wieder Beten. Denn Beten und Singen schenken Hoffnung und Glauben. Das Vertrauen darauf, dass Gott die Müden, die Leisen, die Zarten trägt, aber auch die Unmenschlichen befreit. Dass wir den Mut bekommen, das Rechte zur rechten Zeit zu tun.

Gesang: 4. Nun nimm, Herr, unser Singen in deine gute Hut und füge, was wir bringen, zu Hoffnung und zu Mut. Wir beten für Vertrauen, wir hoffen für den Sinn. Hilf uns, die Welt zu bauen zu deinem Reiche hin.


[1] Peter Struck,  4. Dezember 2002, erläutert am Beispiel des Afghanistan-Einsatzes: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“[7]

[2] Nach http://www.dkof.de

[3] Vgl. Benedikt Paetzholdt, Frankfurter Rundschau: Schwerer Treffer an der Seele

26. April 2012. Ähnliche Zahlen zeigt auch eine Studie der Harvard University: 7,6 Prozent der amerikanischen Soldaten, die an Gefechten in Afghanistan beteiligt waren, zeigten die typischen Symptome einer PTBS, vgl. Sueddeutsche Magazin online. 18. Mai 2012,  Posttraumatische Belastungsstörung: Der Krieg hinterlässt weniger Spuren.