Ich bin das Frauchen von einem schlecht erzogenen Hund- und ich bin sehr glücklich damit.
Perla geht mit mir spazieren, nicht umgekehrt.
Ich liebe das. Sie zieht voran, ich laufe happy hinterher. Und sehe ihr zu, wie sie macht, was sie machen muss – ihre „harte Arbeit auf der Straße.“
Perla macht einfach. Zieht einfach los und tut was sie will. Mich zieht sie mit.
Wo ein Wille, da ein Weg.
Wo die Pralinenschachtel (auf dem Tisch …), da der Hund.
Keine Leiter zu steil, kein Schutthaufen zu wackelig, wenn sie wohin will, dann will sie.
Oft ist sie nicht erfolgreich, sie kann nicht fliegen, obwohl sie soooo viel Anlauf genommen hat, die blöde Taube zu fangen.
Sie kann nicht klettern, die Katze ist schneller auf dem Baum, als sie wetzen kann.
Außerdem gibt es da noch Türen, Zäune und mich, am anderen Ende der Leine.
Perla ist nicht immer glücklich mit mir.
Aber wenn es einen Weg gibt, findet sie ihn.
Wenn es keinen Weg gibt, hat sie es zumindest versucht, mit allem was sie hat, in dem Moment.
Das sieht man ihr an, wie sie durch die Welt stolziert und ihren Kopf hält und ihre Arbeit macht.
Wie Perla durchs Leben geht, zieht mich in den Bann, das zieht mich mit, macht mich glücklich.
Mein Hund macht einfach ohne groß nachzudenken, wie das aussieht, ob das klappt, was das bringt, ob sie es morgen wieder tun muss, wen sie damit verschreckt.
Ich wäre gerne mehr wie sie, ich glaube, deshalb erziehe ich sie nicht bei Fuß zu gehen und still zu sein und erst auf mein Kommando zu warten. Ich mag sie ungebändigt lieber.
Ich bin das glückliche Frauchen von einem unerzogenen Hund weil ich daran erinnert werden will:
Einfach machen.
Einfach versuchen.
Einfach Wege gehen, ob es sie schon gibt oder nicht
An manchen Tagen vergesse ich das nämlich so leicht.
Und dann grübele ich und dann frage ich mich, wie soll ich das nur machen? Wie sollen WIR als Kirche das nur hinkriegen? Wie plane ich das alles am besten, haben wir auch an alles gedacht? Ich werde ängstlich, wir werden zögerlich, wissen nicht wo und ob wir anfangen sollen.
Deshalb:
Teambesprechung, Teamsupervision, Dienstbesprechung, Leitungskreis, Arbeitskreis, Pfarrkonvent, Unterausschuss. Wir reden und wissen alle viel. Hier ein Vortrag über die Zahlen, sie sind viele, aber sie werden kleiner. Weniger Ressourcen gleich weniger Zeit.
Nach den Sitzungen wissen wir über alles Bescheid, aber Zeit haben wir keine mehr und Kraft auch nicht mehr und die Hoffnung, ja wo war die noch mal?
Also die Hoffnung, dass das Evangelium, die Kirche, die Gemeinde, WIR zu den Menschen gehen.
Aber wie soll das gehen, wenn wir den Weg nicht kennen?
Wer zieht uns mit?
Der Druck der Zahlen? Der Druck der Zukunft?
Der zieht mich runter.
Und manchmal mache ich mich auch noch fertig dafür.
Dann ist die Depression perfekt. Ich bin gelähmt.
Ich weiß nicht mehr wozu das alles, warum ich das machen soll. Es bring doch eh nix. Zu spät.
An manchen Tagen bin ich anders. Dann gucke ich mir was von Perla ab.
Dann gehe ich einfach los, dann mache ich einfach.
Ah, da ist ein großes Open-Air Konzert auf meinem Gemeindegebiet.
Da sind mehr Menschen als unsere Gemeinde Mitglieder hat.
Ah, wir könnten als Kirche ja auch mal hingehen.
Und ich sage es laut. Und Stephan hört es.
Ich hab an dem Wochenende eine Trauung, aber nächstes Jahr bin ich vielleicht schon nicht mehr hier Pfarrerin. Also versuchen können wir es ja mal.
Und Stephan kennt da wen und schreibt eine Mail.
Und was passiert? Er bekommt sofort Antwort: „Wir können einen Stand aufbauen.“
Aber mit was?
Ich, war noch nie auf einem Festival …
Egal, wir machen das einfach.
Was kostet das?
Nix.
Aber wir brauchen doch …
Biertischgarnituren, um eine Lounge zu bauen.
Stephans Schwiegermutter leiht sie vom Heimatverein.
Pavillons bringt Stephan von der Arbeit mit.
Aber was wollen wir denn eigentlich da auf dem Festival?
Bei den Menschen sein, klar.
Unsere erste Idee: Ihnen eine Ruheecke bieten, wo soviel los ist, brauchen sie vielleicht einen Ort, wo sie einfach nur sein können.
Antje bekommt von ihrem Vater Kopfhörer gegen Musiklärm, wir kleben einen Bibelspruch in moderner Übersetzung drauf.
Stephan baut noch eine Klagemauer, Dietmar macht auch noch tatkräftig mit.
Ich packe meine Wachstischdecken ein und was mir sonst noch so einfällt.
Bibeln nehmen wir auch mit. Und: CHRISMON.
Wir machen das jetzt einfach. Mit begrenzten Mitteln und ohne ausgereiftes Konzept.
Wir haben keine Zeit, immer am Stand present zu sein, aber wir freuen uns riesig.
Ich gehe auf ein Festival, die Kirche ist auf dem Stemweder Open Air-Yeah!
Und was passiert?
Presbyter bringen Kuchen vorbei.
Die Festivalbesucher kotzen hinter unseren Stand.
30-40 Menschen setzen sich auf unsere Bänke.
3 Menschen diskutieren über die richtige Bibelübersetzung.
Die Dealer verkaufen harte Drogen auf unseren Bierzeltgarnituren … während wir am Samstag morgen nicht da sind. Davon zeugen gewisse Überreste …
3 Mädchen kommen auf uns zu. Als sie sehen, wer wir sind, sagen sie: „Iiiih Kirche!“ Und drehen sich um.
Und meine 2 Wachstischdecken werden geklaut.
Aber wir sind glücklich.
Wir haben es einfach gemacht.
Wir waren da. 2 Tage lang, Vorbereitung und Nachbereitung 1 Tag. Das Zeitmanagement stimmt.
Wir sind glücklich, wir haben so viel gelernt.
1. Wachstischdecken sind beliebter als ihr Ruf.
2. Keiner will Ruhe auf einem Rockfestival, aber ein Kaffee, so früh morgens um 12 hätte vielleicht besser zu unserem Bibelvers gepasst:“ Du erquickst meine Seele“.
Vielleicht hätten Sie uns dafür den Stand eingerannt oder sich einfach gefreut über den Duft vor ihrem Zelt, wenn wir ihn ihnen gebracht hätten und nicht an unsrem Stand gewartet hätten.
Wir sind glücklich, wir haben es einfach gemacht.
Wir hatten keine Ressourcen um was Großes aufzuziehen, aber die Idee, dahin zu wollen, zu müssen, zu den Menschen, die hat uns gezogen. Und wir waren leicht. Wir hatten keine Angst vor Fehlern oder Blamage, dafür war keine Zeit. Auch später nicht. War ja klar, dass was schiefgeht. Umwege erhöhen die Ortskenntnis, jetzt wissen wir mehr als bessere Ressourcen und mehr Besprechungen uns je hätten bringen können.
Ich lass mich gerne ziehen. Von Perla. Von Projekten, die einfach mal machen. Ich glaube, es ist meine, es ist unsere Verantwortung was zu machen, was anders zu machen, was auszuprobieren, was zu riskieren, um zu den Menschen zu gehen. Auch wenn ich wenig Zeit hab, ändern sich doch die Zeiten und deshalb auch die Wege, wie ich zu den Menschen gehe.
„Alles hat seine Zeit,“ sagt der Prediger Kohelet (Pred 3, 9). Und es gibt immer eine Menge, das uns Mühe macht in der Kirche, was uns bremst und nicht nach vorne zieht. Und ich übertrage ihn mal ganz frei: „Da merkte ich, dass es nichts Bessers dabei gibt, als Glücklichsein in seinem Leben.
Denn eine Kirche, die guten Mut hat bei all ihren Mühen, die ist eine Gabe Gottes.“ (Pred. 3, 12,13)
Ich hab guten Mut in der Kirche, auch und besonders wenn ich nicht viel Zeit oder Geld oder Gespräche oder Planung habe, sondern einfach machen kann. Einfach machen macht mich glücklich. Einfach machen ist mein Weg, der mich zu den Menschen zieht.
Geht ihr mit Perla und mir mit?