WDR2 Andacht (Mk 10, 46-52)
Ein ganz normaler Tag.
Ich sitze am Rand der Straße und höre die Schritte. Ich höre, wie sie näherkommen, noch näher. Und wie dann eine Münze in mein Tonschälchen klirrt. Ich sage „Danke“ und lächele bis ihre Schritte nicht mehr zu hören sind.
Weißt du, ich sehe mit meinen Ohren.
Ich höre alles. Aber trotzdem gehöre ich nie dazu.
Es ist ist ein ganz normaler Tag. Ich sitze am Rand der Straße und spüre, wie die Luft sich verändert, „flirrig“ wird. Zuerst denke ich, ein Sturm zieht auf, aber dann höre ich wie die Stimmen im Dorf aufgeregter werden.
Ich höre mehr Schritte als sonst, viele Menschen sind gekommen. Laut und gleichzeitig lauschend. Und dann höre ich wie sie seinen Namen flüstern.
„Jesus“. „Jesus von Nazareth“.
Mein Herz bleibt stehen, damit ich ganz genau hören kann, wo er gerade ist, wie nah er mir schon ist, wo er hingeht. Und dann als die Menge bei mir ist, bricht es einfach aus mir hinaus: „Jesus, erbarme dich über mich!“ Ich höre, nein, ich weiß, wie sie Köpfe zu mir drehen, wie sie mich ansehen und verachten und „Sch, shhh, Schhhhhh“ machen und sagen: „Sei ruhig, du!“ Aber ich kann nicht ruhig sein. Das war ich viel zu lange. „Jesus, sei barmherzig mit mir!!!!“ Und plötzlich stehen alle Füße still, der Staub legt sich und er sagt: „Ruft ihn her.“ Und sie sagen: „Komm, komm, steh auf, Jesus ruft dich!“ Ich lasse alles stehen und liegen und gehe zu seiner Stimme. „Was soll ich für dich tun?“ fragt mich Jesus. „Ich will sehen wie alle anderen auch, mein Meister.“ Ich spüre wie er mich ansieht und dann sagt: „Ja. Dein Vertrauen, dein Glauben hat dich geheilt.“ Ich sehe ihm in die Augen und bleibe bei ihm.
Weißt du, jetzt wo meine Augen sehen können, kann ich nicht mehr so gut hören. Aber die anderen sehen mich anders an, als vollwertigen Menschen. Das ist für mich wie ein neues Leben. Natürlich sehen sie mich nicht so an, wie Jesus mich angesehen hat. Nur selten habe ich das Gefühl, dass ICH wirklich gesehen werde. Aber wenn ich merke, dass ich es wirklich brauche, dass mich jemand wahrnimmt, dann werde ich laut und deutlich. Zu meinen Freund:innen oder wenn wir in der Kirche Gott um sein Erbarmen bitten.
Ich sage dann, was ich in dem Moment am allermeisten brauche. Mitgefühl. Oder Hände oder Füße oder Schultern oder Worte oder irgendwas anderes, du kennst das, es ist nicht immer gleich. … Aber immer, wirklich immer ist es Vertrauen, das ich brauche.
Und bei dir ist es doch auch so, oder?
Wenn ja – es gilt auch für dich:
Dein Glaube wird dich heilen.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius