Ich hätte nie gedacht, dass ich dazu fähig bin.
Dass ICH das bin.
ICH so grausam, so brutal.
Ich verstehe das heute noch nicht richtig.
Erklären kann ich es nicht, nur erzählen.
Ich hab mich so gefreut über meinen kleinen Bruder.
Endlich nicht mehr allein mit Mama und Papa.
Zwei kleine Jungs, zwei Brüder, die miteinander spielen.
Aber dann hab ich gemerkt- die Mama guckt jetzt immer auf dich.
Und der Papa auch.
Und die anderen.
Die Lehrer, die Erwachsenen.
Du warst anders.
Komisch.
Peinlich.
Echt mal.
Hochbegabt. In Mathe und sowas.
Ein Nerd, ein Spinner mit Zahlen im Kopf.
Aber das hat dich nicht gestört.
Und wurdest auch noch super jung Professor.
Spätestens da fanden dich auch die in unserem Alter cool.
Und ich?
Ich bin immer zum Training, zum Sport. Fußball, mein Ding.
Wahre Liebe.
Ich hab soviel trainiert, aber immer wenn es drauf ankam, war ich verletzt.
Der letzte Kreuzbandriss ließ alle Träume platzen.
In der Rehabilitation mühte ich mich durch den Park, während Mama von dir erzählte und von früher.
Der Park erinnerte sie an das Paradies, in dem sie und Papa gelebt hatten. Da gab es keinen Schmerz, keine Verletzung, kein Hass, Gott war bei Ihnen …
Da war es mehr als Neid. Mehr als Schmerz über meine verlorene Karriere als Fußballprofi.
Da war es plötzlich Hass.
Unsere Mutter sah mich nicht,
Gott erst recht nicht.
Alle sahen nur dich.
Ich hasste sie alle, dich- dich am meisten. Das war am leichtesten.
Ständig fühlte ich mich zweite Reihe, zweite Wahl, zweite Liga und wenn ich an dich dachte, dann stellte ich mir vor, dass es dir so schlecht geht wie mir.
Weihnachten sah ich dich und konnte dir doch nicht mehr in die Augen sehen.
Nachts war es, als hörte ich eine Stimme:
„Pass auf,sagte sie, hör auf dich da reinzusteigern!
Diese Gedanken, diese Gefühle, die überwältigen dich.
Beherrsche dich oder es passiert was Schlimmes.“
Als ich aufwachte, wusste ich, die Stimme hat Recht, ich muss was ändern.
Als du, mein kleiner Bruder mich nach Bescherung und Essen fragte, ob wir noch eine Runde feiern gehen wollen, ging ich mit.
Vielleicht könnte ich mit dir reden…
Doch dann hast nur du geredet.
Von deinen Erfolgen. An der Uni, deine Beliebtheit.
Und ich ging neben dir, und hielt mich an meiner Bierflasche fest.
Und als wir kurz vor der letzten Kneipe ankamen, hab ich die Flasche gehoben und sie dir mit aller Kraft gegen den Kopf geschlagen.
Einfach so.
Ganz einfach.
Und du sackst zusammen und stehst nicht mehr auf.
Ich wusste, du bist tot. Durch mich.
Ich zertrümmerte die Flasche und warf die Scherben in einen See und ging nach Hause.
Wo ist denn dein Bruder, fragte meine Mutter.
Weiß ich doch nicht, sagte ich, der ist alt genug, soll ich etwa noch auf ihn aufpassen?
Die Nacht hoffte sie noch, dass du eine Frau kennen gelernt hattest.
Aber ich lag im Bett.
Und da war sie wieder die Stimme.
Ich habe dich gesehen und ich höre das Blut deiner Bruders, es schreit zu mir hoch.
Du musst dich bei der Polizei stellen!
Aber dann komme ich ins Gefängnis und verliere alles, was ich noch habe, meine Familie, meine Freunde, habe ich gesagt.
Und die Stimme sagte:
Ja, dein Tun hat Konsequenzen, aber vor einem beschütze dich:
Deine Familie sollst du nicht verlieren.
Niemand soll dich verletzen, wie du verletzt worden bist.
Und dann hab ich so einen Schmerz am Arm gespürt und bin aufgewacht.
Da war ein Zeichen. Niemand soll dich verletzen stand drauf.
Und so war es auch.
All die Jahre im Gefängnis sind meine Eltern zu Besuch gekommen.
All die Jahre fand ich, der Brudermörder Freunde.
Und einen neuen Beruf, ohne Sport.
Ich baue jetzt Tische.
Damit die Menschen miteinander reden und essen.
Niemand hat mich verachtet und deshalb kann ich das heute euch erzählen, ohne Angst, dass ihr mich verurteilt.
Ich bin ein Mörder.
Ich hätte nie gedacht, dass ich dazu fähig bin.
Dass ICH das bin. Sein kann. Ich hab das in mir.
ICH so grausam, so brutal.
Ich verstehe das heute noch nicht richtig.
Aber ich verstehe, dass ich damals meinen Neid, meinen Hass schneller bekämpfen hätte müssen.
Dass ich es niemals an ihm auslassen hätte dürfen.
Jetzt ist es zu spät.
Und auch das habe ich verstanden:
Aber:
Ich bekomme eine 2. Chance.
Niemand nimmt an mir Rache, keiner verletzt mich, keiner verachtet mich. Das ist ein Wunder.
Mein Beweis Gottes.
Ich darf leben, obwohl ich meinem Bruder das Leben genommen habe. Das ist nicht gerecht, ich weiß. Aber ich bin jetzt ein anderer, ein Mörder, der nicht mehr hasst.
Und sogar Konfis hören mir zu:
Also passt auf, dass ihr niemand verletzt, niemand fertig macht.
Und wenn doch: Gebt es zu, dann hört der Hass, das Verletzen, das Mobben, der Krieg langsam auf.